Bernard Krutz, und Esti Kissilov

Bernard:

„Meine persönliche und familiäre Geschichte war immer voller offener Fragen.

Ich wusste, dass ich in Polen geboren und von einer nichtjüdischen polnischen Familie versteckt worden war. Ich wusste, dass diese Familie nicht meine Familie war, aber ich wusste nicht, wer ich war. Nach dem Krieg kam ich in ein jüdisches Waisenhaus und wurde schließlich von einer jüdischen Familie adoptiert. Bis heute habe ich keinen offiziellen Geburtstag. Ich kann also nur sagen, dass ich ungefähr 82 Jahre alt bin.

Mein ursprünglicher Name war Bolek Szczycki. Im Waisenhaus wurde mein Name jedoch so entstellt, dass es für meine Verwandten unmöglich war, mich nach Kriegsende zu finden. Ich selbst war zu jung, um nach Verwandten zu suchen. So war ich am Ende des Krieges ganz allein. Ich hatte keinen einzigen Menschen auf der Welt, den ich Familie nennen konnte.

Damals gab es keine Anlaufstelle, die ich bei der Suche nach meiner Identität um Hilfe bitten konnte. Nach dem Krieg führte ich ein glückliches Leben bei meiner Adoptivfamilie. Aber ich fragte mich immer, wer ich war und wie ich in das Haus gekommen war, in dem man mich während des Krieges versteckt hatte. Ich bin in Warschau aufgewachsen, habe geheiratet und meine berufliche Karriere begonnen. Bis 1968 war das Leben „normal“. Danach konnte man es in Polen als Jude nicht mehr aushalten. Im Oktober 1968 verließen meine Frau und ich Polen und wanderten in die Vereinigten Staaten aus.

Meine Familiengeschichte war für mich immer ein „Schwarzes Loch“. Je mehr Zeit verstrich, desto weniger Hoffnung hatte ich, jemals Verwandte zu finden.

2019 beschloss meine Tochter Lisa, zu recherchieren. Sie versuchte herauszufinden, wer ich war.  Man gab ihr den Tipp, einen DNA-Test zu machen. Es kam mir vor, als würden wir eine Flaschenpost ins Wasser werfen und hoffen, dass die Botschaft am anderen Ende des Atlantik ankommt. Die Chancen, einen Verwandten zu finden, waren extrem gering. Aber dann hat es doch funktioniert!

Mit Hilfe jüdischer genealogischer Organisationen und der Archive von Yad Vashem wurden schließlich mehrere mögliche Verwandte identifiziert. Wie sich herausstellte, hatte meine Tante, die Schwester meines Vaters, überlebt und 1956 in Yad Vashem über das Schicksal der Familie gesprochen. Mit diesem Hinweis kamen wir schließlich zu Esti Kissilov. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie meine Cousine war, war hoch.

Wir haben Esti angesprochen und sie gebeten, einen DNA-Test zu machen. Als das Ergebnis eine starke DNA-Übereinstimmung ergab, konnte ich es nicht glauben. Ich hatte eine nahe Verwandte, eine Cousine ersten Grades, die in Israel lebte! Das erste Treffen zwischen Esti und mir war erstaunlich. Zum ersten Mal in meinem Leben blickte ich in das Gesicht einer Blutsverwandten. Endlich, nach so vielen Jahren, hatte ich Familie auf dieser Erde. Manchmal werden Träume wahr.”

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