Arye Yass

Die Zweite Generation – Kinder von Holocaust-Überlebenden

“Morgen werde ich für euch, Mutter und Vater, auf die Straße gehen. Der Marsch führt über Tel Avivs zentralen Boulevard. Ganz anders dein Marsch, Vater. Du bist vor dem Hungertod durch die Kanalisation aus dem Warschauer Ghetto geflohen. Wie war es möglich, wie konnten Menschen eine Woche in Kanalisationskanälen überleben? Heute würde niemand von uns auch nur einen Tag dort unten überleben. Nach dem Aufstand haben die Deutschen das Ghetto in Brand gesteckt. Haus für Haus. Sie wollten alle Juden vernichten. Es sollte keinen Juden mehr auf der Welt geben. Aber du und deine Kameraden, ihr wolltet leben.

Morgen werde ich durch Tel Aviv marschieren. Ganz anders als meine Mutter, die Warschau mit zwanzig verlassen und von einem ihr feindlich gesinnten Dorf zum anderen ziehen musste. Sommer wie Winter. Sie schlief in Löchern, die sie in den Schnee oder gefrorenen Boden grub. Tagsüber suchte sie nach Gelegenheitsarbeiten. Sie nahm jede Tätigkeit, die ihr die Frauen in abgelegenen Dörfern gaben. Sie nähte, sie half einer Dorfschullehrerin oder ging einer Bäuerin mit dem Herz am rechten Fleck zur Hand. Drei Jahre zog sie so herum. Heute würde niemand von uns auch nur eine Woche so überleben. An diesem Holocaust-Gedenktag marschiere ich über den Rothschild-Boulevard in Tel Aviv. ‘Brave Together‘ ist ein ganz besonderer Marsch im Andenken an eure Märsche, Mutter und Vater, durch Warschaus Abwasserkanäle und polnische Felder.“

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