Fanny Ben-Ami

Holocaustüberlebende

“Ich wurde 1930 in Baden-Baden geboren. Nach Hitlers Machtantritt floh meine Familie nach Paris. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besetzung von Frankreich im Mai 1940 wurde ich mit meinen Schwestern Erica und Georgette in ein Waisenhaus im Château de Chaumont geschickt. Dabei unterstützte uns eine Hilfsorganisation für jüdische Kinder (OSE). Für meine Schwestern und mich war das Waisenhaus ein sicherer Zufluchtsort, der uns vor den Gräueltaten in ganz Europa schützte.

1942 wurde das Waisenhaus aufgelöst. Ein Spitzel hatte den Nazis unseren Aufenthaltsort verraten. Meine Schwestern und ich mussten fliehen. Da unsere Mutter in Lyon war, bot es sich an, zu ihr zu fahren.

In Lyon erfuhren wir von der Inhaftierung unserer Mutter. Ohne lange zu überlegen, machte ich mich auf den Weg zum Gefängnis. „Lassen Sie meine Mutter frei. Sie hat nichts gestohlen. Sie hat niemanden ermordet. Es gibt keinen Grund, sie festzuhalten“, sagte ich zu den Wärtern, die auch mich einzusperren drohten. „Wenn Sie wollen, können Sie auch mich gern einsperren. Meine Eltern sind sowieso im Gefängnis“, entgegnete ich. „Ihr seid keine echten Franzosen! Wisst ihr, was mit Verrätern passiert?“ Beeindruckt von meinem Mut, ließen sie meine Mutter frei.

Wir wandten uns wieder an die OSE, die Rettungsaktionen für jüdische Kinder in ganz Europa organisierte. Die Gruppe von Kindern, der ich zugeteilt wurde, sollte in die Schweiz geschmuggelt werden. Bevor ich mit dem Bus in Richtung Schweizer Grenze fuhr, verabschiedete sich meine Mutter von mir mit den Worten: „Wer weiß, ob wir uns jemals wieder sehen?“ Leider war es tatsächlich das letzte Mal, dass ich sie sah.

Unsere Gruppenleiterin war achtzehn Jahre alt. An der Grenze geriet sie aufgrund der massiven deutschen Präsenz in Panik und weigerte sich, mit uns weiterzufahren. Plötzlich waren wir ohne Begleitung in feindlichem Gebiet.

Aus Mangel an Alternativen beschloss ich, das Kommando über die Gruppe zu übernehmen. Den Kindern habe ich die harte Wahrheit gesagt: Wer mir nicht folgt, wird mit Sicherheit sterben.

Auf dem Weg zur Grenze hielt uns die französische Polizei auf. Bis zum Ergebnis weiterer Ermittlungen sollten wir in eine Hütte des Roten Kreuz gesperrt werden. Vor der Hütte parkten zwei Lastwagen mit Hakenkreuzsymbolen. Mir war klar, wenn wir nicht fliehen, wird das unser Ende sein.

Zum Glück gab es ein kleines Toilettenfenster im hinteren Teil der Hütte, durch das alle 15 Kinder in den Wald entkommen konnten.

Um keinen Verdacht zu wecken, wies ich die Kinder an, in schnellem Wanderschritt singend durch den Wald zu marschieren. Wer uns sah, sollte denken, dass wir im Urlaub wären.

Nach ein paar Tagen gelangten wir mit Hilfe der OSE in die Nähe der Grenze. Sobald die deutschen Wachen ihre Posten verließen, so lautete die Anweisung, sollten wir so schnell wie möglich in die Schweiz, in die Freiheit laufen.

Dies waren die längsten fünf Kilometer meines Lebens. Wir schafften es, alle Kinder durch den Schweizer Grenzzaun zu schleusen. Alle, bis auf Margalit. Sie war mitten in der entmilitarisierten Zone stecken geblieben. Ohne lange zu überlegen, lief ich zurück und holte sie. Als wir auf die Schweizer Grenze zuliefen, hagelte es Kugeln. Wir konnten ihnen entkommen. Sobald ich auf Schweizer Boden war, verlor ich das Bewusstsein. In extremen Zeiten greift man zu extremen Maßnahmen.

Ich bin stolz darauf, einen Beitrag zur Rettung dieser Kinder in die Freiheit beigetragen zu haben.”

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