Marta Goren

Holocaustüberlebende, Czortkow, Polen (heute Ukraine) 

“Marta, mein Kind, wir müssen uns trennen. Die Lage hat sich verschlechtert. Du bist in Czortkow nicht mehr sicher. Es gibt kaum noch Juden im Ghetto. Wenn die Deutschen dich finden, werden sie dich töten. Ich werde nicht mehr lange in der Apotheke arbeiten und dich weiter hier im Keller verstecken können. Deshalb habe ich beschlossen, dich nach Warschau zur Familie Schultz zu schicken. Sie sind gute Freunde deines Vaters und werden sich um dich kümmern.

Bei der Familie Schultz, sagte Mutter, müsse ich unter einer anderen Identität leben.

Mein neuer Name war Christine Grinavic, mein Spitzname Chrisia.

Christine war auf dem Land geboren und eine Katholikin, die jeden Sonntag zum Beten in die Kirche ging. Christine ist zu ihrem Onkel nach Warschau gezogen, weil ihre kranke Mutter sich nicht mehr um sie kümmern konnte und weil ihre Schule auf dem Dorf nach Ausbruch des Krieges geschlossen wurde. Da Christines Familie das Mädchen weiter zur Schule schicken wollte, brachten sie sie nach Warschau.

Fast zwei Jahre lebte ich unter einer falschen Identität und besuchte eine katholische Schule. Jeden Morgen habe ich mich im Spiegel betrachtet und gefragt, wieso niemand erkennt, dass ich Jüdin bin. Was war meiner Mutter wohl durch den Kopf gegangen, als sie mich unter falscher Identität nach Warschau schickte? Ich war weder blond, noch hatte ich blaue Augen. Die Farbe meiner war etwas dunkler als die der anderen, aber niemand zweifelte meine Identität an.

Ich glaube, dass ich die Rolle von Christine Grinavic so gut gespielt habe, weil ich wirklich daran geglaubt habe. Wenn ich meine Rolle nicht perfekt spielte, würde ich mein Leben und das der vielen Menschen riskieren, die mir geholfen hatten. Also gab ich mein Bestes, um ein nettes, christliches Mädchen zu sein. Es war die Rolle meines Lebens.”

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