Menachem Haberman

Holocaustüberlebender von Auschwitz

„Das Tor von Auschwitz führte in die Hölle. Gleich auf der Rampe fand die „Selektion“ statt. Ich wurde von meiner Mutter und meinen jüngeren Brüdern getrennt. Sie gingen in Richtung der Schornsteine. Als ich sah, dass Mutter mit den Kindern nicht fertig wurde, scherte ich aus der Reihe der Erwachsenen aus und eilte ihr zu Hilfe. Mein kleiner Bruder Benjamin hatte Fieber und schluchzte. Ich nahm ihn auf den Arm und versuchte, ihn zu trösten. Da kam ein großer, stämmiger Häftling auf mich zu und befahl mir, den Jungen wieder an meine Mutter zu geben. Benjamin hatte Tränen in den Augen. Seine kleine Hand winkte mir zum Abschied, als ich in meine Reihe zurückkehrte. Es war das letzte Mal, dass ich ihn oder irgendjemanden aus meiner Familie gesehen habe. Dieses Bild hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich sehe es jeden Tag vor mir.

Nach dieser abrupten Trennung wurde ich an einen Tisch gerufen, wo mir eine Nummer auf den Unterarm tätowiert wurde. Von diesem Moment an war ich nicht mehr Menachem Haberman. Meine Identität bestand aus der Nummer A-10111. Trotz des brennenden Schmerzes gab ich keinen Laut von mir. Jeder Schmerzensschrei, befürchtete ich, könnte mein Todesurteil sein. Ich aber wollte leben. Um der schrecklichen Realität von Auschwitz standzuhalten und nicht als Rauch aus den Schornsteinen aufzusteigen, brauchte ich all meine geistige Kraft.

Ich gab unzählige Momente, in denen mein Leben am seidenen Faden hing. Es gleicht einem Wunder, dass ich in all diesen Momenten am Leben geblieben bin. Ich stamme aus einer chassidischen Familie mit einem tief verwurzelten Glauben. Diesen Glauben an Gott habe ich trotz aller Grausamkeiten nicht verloren. Die Tatsache, dass ich die Selektion, Auschwitz, den Todesmarsch nach Deutschland und das Lager Buchenwald überlebt habe, führe ich zumindest teilweise auf meinen tiefen Glauben an Gott zurück.

In Auschwitz wusste ich nie genau, wann Pessach, Jom Kippur oder Rosch Hashana waren. Und dennoch war mir klar, dass ich meine Bindung an den jüdischen Glauben wahren würde. In Block 59 von Buchenwald gab es mehrere Tefillin. Bei jeder Gelegenheit, selbst bei eisiger Kälte, stellte ich mich fürs Anlegen der Gebetsriemen an. „Höre Israel, Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig“, betete ich. Das Schma-Gebet gab mir neue Kraft und stärkte meinen Glauben an die Existenz Gottes. Es gab mir das Gefühl, noch immer Mensch zu sein, nicht bloß ein Knochensack mit einer tätowierten Nummer.

Der Holocaust hat meinen Glauben an Gott nicht erschüttert, aber ich habe Freunde, die ihren Glauben an Gott wegen des Holocaust verloren haben. Der Glaube ist eben eine sehr persönliche Sache. Für mich war klar, dass wir trotz der schrecklichen Zerstörung an unserem Glauben festhalten und für den Fortbestand des jüdischen Volkes sorgen müssen. Ohne meinen Glauben hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt und könnte ihnen meine Geschichte heute nicht erzählen.“

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