Ruti Deem

“Ich habe meinen Ehemann über einen Freund meiner Schwester kennengelernt, der die Rolle des Amors übernommen hat. Unser erstes Treffen war nicht besonders geglückt. Aber da alle darauf bestanden, gab ich ihm noch eine Chance. Der Freund meiner Schwester sagte, dass er es ernst meine und warnte mich, nicht mit seinen Gefühlen zu spielen. Die Zeit verging. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Acht Monate später heirateten wir.

Mein Mann Yosef wurde im polnischen Przemysl geboren. Seine Mutter und Schwester sind im Holocaust ermordet worden. Er selbst hatte sich lange versteckt und sich später den Partisanen angeschlossen, die in den polnischen Wäldern gegen die Nazis kämpften. Die intensiven Ereignisse dieser Zeit hatten ihn geprägt. Er sprach nie gern über das, was er durchgemacht hatte. Ich musste alles mit Gewalt aus ihm „herausziehen“. Damals wusste man nicht, wie man mit Holocaustüberlebenden umgeht. Psychologische Therapien gab es kaum. Unterstützung, wie es sie heute gibt, war nicht verfügbar. Die Menschen schwiegen einfach und vermieden es, in ihrer dunklen Vergangenheit zu wühlen.

Nachts weinte er manchmal im Schlaf und sagte, sie seien hinter ihm her und würden ihn holen. Ich versuchte immer, ihn zu beruhigen. Aber außer meiner Liebe und einer warmen Umarmung hatte ich ihm nichts zu bieten. Er wollte seine Geschichten nicht mit mir teilen. Erst während des Eichmann-Prozesses wurde uns Israelis klar, was Holocaustüberlebende durchgemacht hatten. Erst da verstand ich, womit er sich herumschlug. An Holocaust-Gedenktagen überfluteten ihn die Erinnerungen. Dann zog er sich noch mehr zurück. Trotz aufrichtiger Bemühungen ist es mir nicht gelungen, ihn zum Sprechen zu bringen.

Yosef war ein echter Gentleman. Das habe ich am meisten an ihm geliebt. Er war anders. „Unisraelisch“, wenn man so will. Er gab mir immer das Gefühl, dass er sich um mich kümmert. Wenn wir ins Kino gingen, half er mir aus und wieder in den Mantel. Er hielt die Tür für mich auf. Er gab mir das Gefühl, der Mittelpunkt seiner Welt zu sein. Das war das Wichtigste für mich. So einen Gentleman findet man heute kaum mehr. Rückblickend denke ich, dass wir es trotz allem geschafft haben.“

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