Shoshana Yekutel

Holocaustüberlebende, Tunesien

“Vor allem in den großen Städten zwangen die Nazis die Juden, den gelben Stern zu tragen. Sie leiteten Prozesse der Entmenschlichung ein, so wie sie es in Europa getan hatten. Sie begannen mit dem Bau der Infrastruktur zur Vernichtung des tunesischen Judentums. Alle jüdischen Männer mussten in eigens zu diesem Zweck errichteten Lagern Zwangsarbeit leisten. Mein Vater wurde in eines dieser Arbeitslager gebracht.  Die Demütigung hat er nie überwunden. Seine Gesundheit war stark beeinträchtigt, so dass er kurz nach dem Krieg an einer Lungenentzündung starb.

Wir litten an Hunger, Durst, Krankheiten und Läusebefall. Meine Mutter erzählte von dem schrecklichen Gefühl der Hilflosigkeit, vom Verlust der Kontrolle über das eigene Leben. Terror beherrschte die Straßen. Man konnte nie wissen, wer das nächste Opfer sein würde. Die Liste der Opfer aus unserer Gemeinde wurde täglich länger. Zum Glück erfüllten sich die Prophezeiungen des Messias nicht. Die Deutschen hatten einfach nicht genug Zeit, um ihre Pläne zu verwirklichen. Im Mai 1943, sechs Monate nach der Eroberung, gelang es den Briten, sie aus Tunesien zu vertreiben und uns vor der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zu retten.

Ich fühle mich als Holocaustüberlebende, aber nicht alle Menschen wollen das anerkennen. Auf Gedenkveranstaltungen zum Holocaust wird unser Leid kaum erwähnt. Das ärgert mich. Richtig, wir wurden in Europas Krematorien nicht zu Asche verbrannt. Dennoch wurde uns großes Leid angetan, nur weil wir Juden sind. Ohne die Briten wären auch wir in Rauch aufgegangen. Das darf man nicht vergessen. Es ist an der Zeit, dass uns die Geschichte als Teil des Holocaust anerkennt.“

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