Yehuda Maymon

Auschwitz- und Holocaustüberlebender

“Die erste Deportation aus dem Krakauer Ghetto wurde im Mai 1942 durchgeführt. Sechstausend Juden wurden deportiert. Wir hatten zuvor bereits Gerüchte über einen Massenmord an Juden gehört. Deshalb beschlossen die Leiter der Bnei Akiva-Jugendbewegung – der ich angehörte –, eine Untergrundbewegung im Kampf gegen den Massenmord zu gründen. Wir wollten den Nazis, ja der ganzen Welt, zeigen, dass jüdisches Blut nicht ungestraft vergossen wird, dass wir uns den Gräueltaten der Nazis nicht widerstandslos unterwerfen. Am 22. Dezember 1942, zwei Tage vor Weihnachten, versammelten sich die Untergrundmitglieder in einer Baracke außerhalb des Ghettos. Dort trafen wir die letzten Vorkehrungen für unsere Vergeltungsmaßnahmen gegen die Nazis. Rückblickend war dies mein glücklichster Tag während des Holocaust. An diesem Tag konnte ich endlich die Kontrolle über mein Schicksal übernehmen, mich endlich wehren.

An diesem Abend zündeten wir Molotowcocktails im Café Cyganeria in der Innenstadt.  Wir wussten, dass hochrangige Nazioffiziere dort Weihnachten feiern wollten. Tatsächlich sind einige von ihnen dabei ums Leben gekommen. Außerdem haben wir polnische Fahnen an öffentlichen Gebäuden gehisst und Plakate angebracht, auf denen Polen zum Aufstand gegen die Nazis aufgerufen wurden. Wir legten Feuer in der ganzen Stadt. Das entstandene Chaos hat es den Mitgliedern der Untergrundorganisation ermöglicht, sich sicher zu entfernen. Als jüdischer Untergrund haben wir für diese Operation nicht die Verantwortung übernommen. Wir wollten eine Rache der Nazis an den Ghettobewohnern verhindern. Trotzdem war dies eine äußerst wichtige Aktion. Mit ihr haben wir gezeigt, dass jüdisches Blut nicht ungestraft vergossen wird und wir uns nicht wie Schafe abschlachten lassen.

Es ist mir immer noch unerklärlich, wie ich überlebt habe. Oft hatte ich das Gefühl, dass mich damals eine göttliche Hand vor dem Tod gerettet hat. Einmal wurde ich ins Krankenrevier von Auschwitz eingeliefert. Wer sich innerhalb von vierzehn Tagen nicht erholte, wurde von dort  ins Krematorium geschickt. Als ich am dreizehnten Tag immer noch hohes Fieber hatte, gab mir ein SS-Aufseher zu verstehen, dass man mich am nächsten Tag einäschern würde. Da ich glaubte, der einzige Überlebende des Krakauer Untergrunds zu sein, war es mir wichtig, dass die Welt erfährt, dass diese Operation von Juden und nicht von Polen durchgeführt worden war. Ich rief einen großen, blonden, deutschsprachigen Sanitäter herbei, der so arisch aussah, als wäre er gerade einem Goebbels-Propagandafilm entsprungen. Ihm erzählte ich von der Operation des Kampfpioniers in der Hoffnung, dass er es weitergeben würde. Zum Glück stellte sich heraus, dass dieser „Deutsche“ Jude und Bnei-Akiva-Mitglied war. Er kannte die Kommandeure, die damals meine Kameraden gewesen waren.

Im Anschluss an unser Gespräch erzählte „der Deutsche“ dem Leiter der kommunistischen Widerstandsbewegung im Lager, der ebenfalls Jude war, meine Geschichte. Dieser Mann kam ins Krankenrevier und befahl den jüdischen Ärzten, den Vermerk über meine Verlegung ins Krematorium verschwinden zu lassen. Außerdem sorgte er dafür, dass ich in eine andere Abteilung verlegt wurde. Dort zeigten meine veränderten Unterlagen, dass ich gerade erst zur Behandlung aufgenommen worden war. So gewann ich weitere vierzehn Tage. Dort wurde ich endlich richtig behandelt und konnte mich erholen. Später beorderte mich dieser kommunistische Widerstandskommandant zu sich. Er wollte wissen, ob ich seiner Organisation beitreten wolle. Solange er bedenke, dass ich Zionist und nicht Kommunist sei, würde ich das gern tun, entgegnete ich. Wie das Schicksal so spielt, war es ausgerechnet ein atheistischer Kommunist, der mich wieder an göttliches Eingreifen glauben ließ.”

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