Aharon Barak

Ghetto Kaunas, Holocaustüberlebender

Ehemaliger Präsident des Obersten Israelischen Gerichtshofs

“Im Juli 1941 besetzten die Deutschen meine Heimatstadt Kaunas in Litauen. Ich war damals fünf Jahre alt. Unser Leben wurde zur Hölle. In Kaunas lebten 25.000 Juden. Sie wurdenin einen Vorort der Stadt geführt. Auf einem Platz mit einem interessanten Namen – Platz der Fassung – begann das Massaker.

Im Ghetto von Kaunas wurden viele erdrosselt, auf offener Straße erschossen oder verhungerten. Der formelle Rechtsstaat funktionierte noch, weil Menschen noch Befehle befolgten. 1944 organisierten die Deutschen die sogenannte „Kinder- und Alten-Aktion”, die Deportation und den Massenmord von Juden. Sie deportierten alle Kinder aus dem Ghetto. Maroucalsely, tut mir leid, aber ich überlebte. Viele Wunder haben dazu geführt, dass meine Mutter und ich Zuflucht bei einem litauischen Bauern fanden – einem „Gerechten unter den Völkern“, der unser Leben rettete, bis uns die Rote Armee von den Deutschen befreite.

Seitdem frage ich mich, welche moralische Lektion ich daraus ziehen soll. In den letzten Jahren, gegen Ende meiner Richterlaufbahn, häuften sich die Fragen.

Es gibt nichts Wertvolleres, als ein Mensch zu sein. Das ist eine Lektion, die ich aus all dem gezogen habe.

Mich hat die menschliche Würde eines litauischen Bauern gerettet. Das Leben im Ghetto war möglich, weil es Menschenwürde und gegenseitige Hilfe gab. Selbst am tiefsten Punkt gab es noch kulturelles Leben im Ghetto – שבט אחים גם יחד.*“

 * Es handelt sich hierbei um ein kurzes jüdisches Gebet, den Psalm 133. Die Übersetzung lautet: „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Einigkeit wohnen.“

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