Yehuda Sapporta
Konzentrationslager Bergen Belsen, Holocaustüberlebender
“Auf ihrem Höhepunkt zählte die jüdische Gemeinde von Thessaloniki 80.000 Mitglieder. 97 Prozent von ihnen wurden nach Auschwitz deportiert.
Mein Vater hatte Glück. Er besaß die spanische Staatsbürgerschaft, weshalb er zunächst nicht nach Auschwitz deportiert wurde. Bis zur Klärung unseres Status wurden wir in ein Ghetto umgesiedelt. Dann hatten wir abermals Glück. Ein neuer spanischer Konsul trat seinen Posten in Griechenland an. Sein Name war Sebastian Romero Radigales. Radigales tat alles in seiner Macht Stehende, um Juden mit spanischer Staatsbürgerschaft zu retten. Die Nazis drängten die spanische Regierung, uns Juden aufzunehmen, aber diese weigerte sich. Bis zur endgültigen Entscheidung über unser Schicksal wurden wir nach Deutschland in das Konzentrationslager Bergen-Belsen verlegt. Radigales kämpfte für uns. Schließlich willigte die spanische Regierung ein, Juden mit spanischer Staatsbürgerschaft die Durchreise durch spanisches Staatsgebiet zu ermöglichen, wenn das endgültige Ziel ihrer Reise ein anderes Land war. Radigales gelang es, 510 thessalonikische Juden zu retten. 2014 wurde er in einer feierlichen Zeremonie in Jerusalem mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.
Dort begegnete ich seiner Enkelin und bedankte mich für die guten Taten ihres Großvaters.
Ich frage mich oft, was Radigales zu dieser edlen Mission bewegt hat. Warum sahen die meisten Menschen der Vernichtung des jüdischen Volkes in Europa so gleichgültig zu? Weshalb unternahm Radigales so enorme Anstrengungen, um diese 510 Juden zu retten? Warum handelte er so anders als der Rest des diplomatischen Corps? Er hätte uns einfach ignorieren und seine diplomatische Arbeit fortsetzen können. Nichts wäre passiert. Es wäre so viel bequemer gewesen. Radigales ist ein strahlendes Vorbild in einer der dunkelsten Perioden der Menschheitsgeschichte. „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“, sagt ein jüdisches Sprichwort. Radigales rettete nicht nur ein Leben. Er rettete 510. Ich werde sein Andenken und seine guten Taten für immer in Ehren halten.”